FOKUS: DIGITALISIERUNG
Quantentechnologien

Mehr öffentliche Gelder in der EU als in den USA

Über die heutigen Anwendungsmöglichkeiten in der  Industrie haben wir mit dem österreichischen Quantenpionier Georg Gesek gesprochen.

Während IBM, AWS, Google und Co. an den ersten kommerziellen Anwendungen für native Quantencomputer arbeiten, entwickelt sich Wien zum Zentrum des technologischen Übergangs. Das österreichischschweizerische Joint Venture QMware launchte Anfang des Jahres die erste europäische hybride Quantencloud, mit der der industrielle Einsatz der Quantentechnologie erheblich erleichtert wird. Der Clou: Mithilfe virtueller Quantenprozessoren wird eine Nutzung von Quantenalgorithmen in klassischen hochperformanten Anwendungen möglich.

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Gesek, in der Industrie verspricht man sich schon seit Längerem sehr viel von der Quantentechnologie. Was kann man heute schon umsetzen?

Georg Gesek: Zunächst muss man verstehen, dass Quantentechnologie ein ganz breites Feld ist. Wir haben in der Industrie Anwendungen der ersten Generation. Und diese laufen in Wahrheit schon seit vielen Jahrzehnten – vom Kernkraftwerk bis zum Kernspintomografen. Nun sind wir aber an dem Punkt angekommen, wo sich das Spektrum der Anwendungsmöglichkeiten drastisch erweitert. Das ist darauf zurückzuführen, dass wir in der Lage sind, mit industriellen Prozessen sehr kleine Strukturen, die von quanten-physikalischen Prinzipien beherrscht werden, in großer Serie zu bauen. Ich denke hier zum Beispiel an die Chiptechnologie, die bereits in den Nanometerbereich vorgedrungen ist. Dort herrschen quantentechnologische Effekte, die aber als Störeffekte gelten. In der Quantenelektronik allerdings werden diese Effekte dann zum Positiven genutzt, und dadurch versprechen wir uns in der Industrie ein sehr viel-seitiges Anwendungsspektrum.

 

„Wir bieten mit unserer Virtualisierung heute schon einen wirtschaftlich relevanten Vorteil für hybride Quantenalgorithmen.“

Georg Gesek, CTO und Mitgründer QMware sowie CEO und Gründer Novarion

 

 

 

Mit welchen der Teilaspekte der Quanten-technologie beschäftigen Sie sich?

Gesek: Bei Novarion und QMware beschäftigen wir uns mit der IT-Seite. Da gibt es im Wesentlichen drei große Bereiche: Die Messtechnik, Informationssicherheitssysteme und dann gibt es da noch das Quantencomputing. Beim Quantencomputing ist es wichtig zu verstehen, dass es sich nicht um eine isolierte Technologie handelt. Es ist eine Erweiterung der herkömmlichen Hochleistungscomputer, die man als Exascale Computer kennt. Wir erweitern also diese Systeme mit Quantenprozessoren. Und dabei sind wir mit vielen Fragen konfrontiert: Wie läuft die Integration ab? Was bedeutet das für die Anwenderseite? Welche Entwicklertools braucht man dafür?

Mit QMware haben Sie heuer in Wien eine erste hybride Cloud-Lösung vorgestellt, in Deutschland sind Sie am Aufbau der ersten deutschen Quantencloud für Industrieanwender beteiligt. Was kann man mit dieser Lösung heute schon umsetzen?

Gesek: Dabei geht es um Advanced Quantum Inspired Computing. Der britische Mathematiker Alan Touring hat uns schon in den 1930ern erklärt, dass klassische Rechner jeden Algorithmus in diesem Universum berechnen können. Also auch Quantenalgorithmen. Das soll in Zukunft auf nativen Quantenprozessoren schneller und effizienter vonstattengehen. Mit unserem hybriden Ansatz können wir mit unseren Maschinen bis zu 40 Qbits simulieren. Der Vorteil dabei ist, dass es im Vergleich zu nativen Quantencomputern keine Quantenfehler gibt. Und somit können wir bereits jetzt die Vorteile der Quantentechnologie im Bereich der Optimierung und künstlichen Intelligenz nutzen.

Was ist der Vorteil des hybriden Ansatzes?

Gesek: Bei uns ist die Besonderheit, dass wir einen Virtualisierungslayer für QPUs geschaffen haben. Das heißt, die Applikation merkt gar nicht, ob es eine Simulation ist oder ein nativer Prozessor. Wir schaffen damit 40 algorithmische Qbits. Wenn man eine Quantenschaltung an sich betrachtet, dann sind die modernen nativen QPUs bereits leistungsfähiger als die Simulation. Jedoch gibt es dafür noch keine Anwendung. Alle für die Industrie interessanten Algorithmen, die etwas optimieren, sind hybride Systeme. Dabei ist einerseits sehr viel klassisches Processing notwendig, um die Algorithmen durchzuführen. Und andererseits ist ein schnelles Umschalten zwischen klassischem und Quantenprocessing notwendig, damit das alles auch in der Maschine realisiert werden kann.

Was unterscheidet Ihre Lösung von den Angeboten der IT-Riesen, die schon seit einigen Jahren Quantencomputing-as-a-Service anbieten?

Gesek: Die haben noch keine praktikable Lösung. Sie setzen darauf, dass in Zukunft die nativen QPUs die entsprechende Leistungsfähigkeit haben werden. Bis es so weit ist, wer-den noch Jahre vergehen. Daher ist es für die Industrie interessant, dass wir mit unserer Virtualisierung heute schon einen wirtschaftlich relevanten Vorteil für hybride Quantenalgorithmen bieten können. Durch die Virtualisierung ist der Vorteil auch nachhaltig. Wir haben einen Industriestandard geschaffen, der es ermöglicht, zukünftige Maschinen mit nativen Quantenprozessoren mit der Software, die heute entwickelt wird, zu verwenden. Die Software muss also nicht umgeschrieben werden.

Wie einfach fällt der Einstieg für ein Unternehmen? Welches Know-how ist da gefragt?

Gesek: Quantenalgorithmen sind lineare Algebra. Von den Grundlagen her kann das ein Softwareentwickler sehr schnell lernen. Man weiß ja, dass es derzeit einen großen Fachkräftemangel im IT-Bereich gibt. Aber dadurch, dass wir in diesem innovativen Feld unterwegs sind und zu den Vorreitern gehören, sind wir in der glücklichen Lage, dass wir über 200 Quanteningenieure zur Verfügung haben, mit denen wir die Projekte unserer Kunden sehr gut umsetzen können.

Im Zuge des Krieges in der Ukraine wird die Quantentechnologie in Sachen Cybersecurity oft als Gamechanger genannt – sowohl für die Abwehr als auch für die Angreifer …

Gesek: Genau, so ist es. Die Simulator-Backends reichen dafür nicht aus, aber sobald die nativen Prozessoren so weit sind, werden sie dafür eingesetzt. Auf beiden Seiten handelt es sich um die-selbe Technologie, das ist das Besondere an der Situation. Ein wichtiger Sicherheitsfaktor ist aber auch die IP, die bei Quantenalgorithmen aus wenigen Daten zusammengesetzt und dadurch für Hackerangriffe anfällig ist. Deswegen ist es wichtig, dass es eine eigene europäische Cloudinfrastruktur gibt.

Europa wird im Hightech-Bereich oft als Nachzügler gegenüber den USA und China angesehen. Ist das im Bereich der Quantentechnologie so?

Gesek: Das Gegenteil ist der Fall. Wir sehen, dass in der EU und Großbritannien vergleichsweise mehr öffentliches Geld investiert wird als zum Beispiel in den USA. In China sind die Zahlen nicht so transparent, aber auch in diesem Fall gehen wir davon aus, dass Europa hier vorne liegt. Die privaten Investitionen sind in Nordamerika zwar höher, aber wir müssen uns wirklich nicht verstecken. Wir haben deutlich mehr für die Quantentechnologie relevante Studienabgänger in Europa, was ein erheblicher Vorteil ist. Für uns ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir in Europa die Souveränität auch in diesem Bereich sicherstellen.

 

„Wir können bereits jetzt die Vorteile der Quantentechnologie

im Bereich der Optimierung und künstlichen Intelligenz nutzen.“

Georg Gesek

 

 

 

 

Industriemagazin 12/2022–01/2023
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